Der Übergang

Titel: Der Übergang
Autor: Justin Cronin
Verlag: Wilhelm Goldmann Verlag
Seitenzahl: 1012
Erstveröffentlichung: 8. Juni 2010


Genre: Horror, Dystopie

Klappentext

Das Mädchen Amy ist gerade einmal sechs Jahre alt, als es von zwei FBI-Agenten entführt und auf ein geheimes medizinisches Versuchsgelände verschleppt wird. Man hat lange nach Amy gesucht: der optimalen Versuchsperson für ein mysteriöses Experiment, das nichts Geringeres zum Ziel hat, als Menschen unsterblich zu machen. Doch dann geht irgendetwas schief – völlig schief. Von einem Tag auf den anderen rast die Welt dem Untergang entgegen. Und nur eine kann die Menschheit vielleicht noch retten: Amy Harper Bellafonte.

Langrezi

Es ist nicht immer leicht, in einem Klappentext das Wesentliche eines Buches zusammenzufassen und möglichst spannend zu präsentieren. Ich glaube, bei „Der Übergang“ war es aber besonders schwer, denn die Geschichte behandelt einfach so viel. Der Plot umfasst mehr als 100 Jahre und spielt dabei an verschiedenen Orten, begleitet diverse Figuren. Und behält trotzdem den roten Faden. Das wird schon beim ersten Satz deutlich:

„Bevor sie Das Mädchen von Nirgendwo wurde – das Mädchen, das plötzlich auftauchte, Die Erste Und Letzte Und Einzige, die tausend Jahre lebte –, war sie nur ein kleines Mädchen aus Iowa und hieß Amy Harper Bellafonte.“

S. 11

Klingt sehr staatstragend, das ist es aber höchstens im Rückblick der Trilogie. Die Geschichte wird viel im Kleinen erzählt und haftet sich vor allem an zwei Personen: Amy und Peter, der knapp 100 Jahre nach ihr geboren wird. Aber von vorne.

Inhalt

Ein Forscher entdeckt eine unbekannte Art von Fledermäusen in den Regenwäldern Südamerikas, die einen besonderen Virus in sich tragen. Es soll die Fähigkeit haben, alle Krankheiten zu heilen. Die US-Regierung versucht, sich das Virus nutzbar zu machen und testet seine Forschungen an zwölf zum Tode verurteilten Häftlingen. Aus ihnen werden aber jeweils wilde, blutrünstige, vampirartige Wesen. Die Forscher sind der Meinung, dass eine jüngere Person das Virus besser verarbeiten kann. Und so wird die sechsjährige Amy in die Einrichtung gebracht; sie erhält das Blut des ersten Infizierten: der Forscher, der das Virus suchte, nun genannt Zero. Und dann geht alles zum Teufel.

Zwar verwandelt Amy sich nicht in ein derartiges Monster, inzwischen Virals getauft, die Todeskandidaten – die Zwölf – schaffen es allerdings, auszubrechen. Zwar werden die Virals von Licht verletzt, ansonsten sind sie aber ziemlich robust. Die meisten Opfer töten sie, doch nach einem festgelegten Muster werden Menschen auch infiziert und damit selbst zu Virals. Die Menschheit versucht, die Wesen zu bekämpfen und schließlich, die Reste der Bevölkerung zu beschützen. Beides klappt mehr schlecht als recht.

Und trotzdem überleben einige Siedlungen die nächsten 100 Jahre. Mit starken Scheinwerfern, hohen Mauern, Waffen und einem klaren System, was die Arbeitsteilung angeht. Aber Akkus halten nicht ewig…

Wir begleiten die Gruppe um Peter, seine beste Freundin Alicia, den Geschwistern Sara und Michael, Saras Freund Hollis und einigen anderen. Sie finden Amy, die seit einem Jahrhundert durch die Welt wanderte und den Wesen zwar so ähnlich ist, dass sie nicht nur nicht angegriffen wird, sondern auch eine praktisch telepathische Verbindung zu den Monstern hat, gleichzeitig hat sie ihre Persönlichkeit allerdings behalten. Doch altert sie genauso langsam, wie die Virals. Und schließlich trifft sie auf die Gruppe, außerhalb der Mauern. Einen Angriff auf die heimische Kolonie überleben deshalb auch nur sie. Da Michael entfernte Funksignale aufgeschnappt hat, beschließen sie, dorthin zu ziehen, durch die Überreste der früheren Welt.

Stil

Das war eine Menge Story für die Kurzfassung, und ich habe wirklich viel ausgelassen. Die Geschichte ist umfassend, lässt sich Zeit, ist in Ruhe erzählt. Nichts wirkt überstürzt, es ist im Gegenteil sehr ausgereift und hier und da auch ein bisschen langatmig.

Die Erzählung ist nicht chronologisch, es gibt immer wieder Rückblenden. Auch die Stile verändern sich. Mal ist es eine normale Erzählung aus der dritten Person, mal werden die Ereignisse in Form von Briefen oder Tagebucheinträgen geschildert. Letztere werden aus einer fernen Zukunft zur Rekonstruktion der Ereignisse herangezogen. Jemand überlebt (zumindest Amy, siehe erster Satz), das ist klar. Nur der Weg dahin ist bis zum Schluss weitgehend unklar. Es werden im ersten Teil, dem aus der Gegenwart, auch immer wieder Berichte aus dem ganzen Land und teilweise auch weltweit eingestreut. Was später aber außerhalb der ehemaligen USA passiert, bleibt weitgehend unklar. Es ist durchaus immer wieder Thema.

Ich empfand wenig an der Geschichte vorhersehbar. Das grobe Ziel ist klar, der Rest nicht. Das gilt auch in puncto Charaktere. Es wird nicht überraschen, wenn ich hier berichte, dass nicht alle überleben. Aber es gibt Schlimmeres als den Tod, und Autor Justin Cronin zieht im Laufe seiner Trilogie alle Register. Das geht schon in „Der Übergang“ los.

[Im nächsten Absatz gibt es Spoiler. Gegebenenfalls überspringt den einfach!]

Schade finde ich, dass der Autor Probleme hatte, einige Figuren loszulassen. Lacey etwa, die sich im Waisenhaus um Amy kümmert, nachdem ihre Mutter sie dort abgegeben hat. Oder – und vor allem – Wolgast, einer der beiden FBI-Agenten, die Amy zur Anlage bringen und sich nicht nur während der Fahrt um sie kümmern. Es ist relativ klar, dass die Chance, dass sie die Vampir-Epidemie überleben, nicht besonders groß ist. In Wolgasts Fall bleibt eigentlich gar kein Zweifel. Und trotzdem bleiben sie Teil der Geschichte. Die Figuren sind beide auf ihre Weise sympathisch, mit Wolgast erlebt ihre schönsten Momente für sehr sehr lange Zeit. Aber gerade deswegen hätte ich es schöner gefunden, wenn die Figuren ruhen.

Charaktere

Natürlich gibt es auch Dinge, die nicht so bahnbrechend und überraschend sind. Eine Liebesgeschichte zwischen Peter und Alicia zum Beispiel, die sich sehr wellenartig entwickelt; mal ebben die Gefühle ab, mal sind sie nur einseitig vorhanden. In der Welt ist es schwierig, sich auf so etwas zu konzentrieren. Bei Sara und Hollis ist das einfacher, auch andere Figuren finden recht schnell zueinander. Es ist eigentlich in jedem Fall schön, weil nicht super aufdringlich oder (abgesehen von Peter und Alicia) sonderlich kompliziert. Und auch bei den beiden Erstgenannten ist es meistens recht zart. Das große Ziel der Geschichte ist eben ein anderes.

Inwieweit Amys Charakter realistisch ist, kann wohl niemand seriös bewerten. Sie hat schreckliche Dinge erlebt, wurde als junges Mädchen von allen verlassen und war annähernd 100 Jahre weitgehend alleine (zumindest, was Menschen angeht). Trotzdem wirkt sie für mich authentisch, hat ihre, sagen wir „Eigenheiten“, bringt durch ihre Einsamkeit aber nichtsdestotrotz eine besondere Empathie rein. Der Rest der Gruppe kennt sich seit der Geburt, sie haben nie andere Menschen oder ein anderes Leben kennengelernt. Zwar wird durch die Vernichtung der Kolonie eine sehr essentielle Traurigkeit in diesen Teil der Geschichte gebracht, aber mehr als ein Menschenleben alleine zu sein und die wenigen guten Erinnerungen langsam zu vergessen, ist noch einmal etwas anderes.

Auch die Zwölf, die ehemaligen Todeskandidaten, werden beleuchtet. Sie haben überlebt, die Epidemie angeführt, und jeder Viral, der von einem von ihnen oder jemandem aus ihrer Blutlinie infiziert wurde, steht mit dem jeweiligen „Meister“ in Verbindung. Sie sind weitgehend in ihrer Psyche gefangen, leben in der Vergangenheit, befassen sich mit der eigenen Schuld oder unerledigten Dingen. Nicht jeder von ihnen bekommt die große Bühne, aber die, die im „Rampenlicht“ stehen, sind dafür es dafür umso ausführlicher.

Fazit

Das Buch gehört zu meinen Favoriten, weil es eine spannende und wirklich wirklich gut durchdachte Geschichte mit einem selbst in der deutschen Übersetzung ganz wunderbaren Schreibstil verbindet. Dazu beispielhaft noch ein Zitat:

„Er taumelte aus dem Haus, über die Veranda und in den Wald hinein. Der Mond hing über den Bäumen wie ein halbgeschlossenes Auge, wie ein Spielzeug an einem Draht, ein lächelndes Mondgesicht über einem Kinderbett. Sein Licht ergoss sich über eine Landschaft aus Asche, in der alles starb; die lebendige Oberfläche der Welt war abgeschält und der felsige Kern bloßgelegt. Wie ein Bühnenbild, dachte Wolgast, ein Bühnenbild für das Ende aller Dinge und die Erinnerung an alle Dinge. Ziellos irrte er durch den bröselnden weißen Staub und rief ihren Namen.“

S. 341

Keine Frage, man braucht für das Buch Geduld. Ich habe gesehen, dass die Serie dazu („The Passage“) letztens ihre deutsche Premiere gefeiert hat. Leider konnte ich noch nicht reinschauen, es dürfte aber definitiv eine Aufgabe sein, das Storygerüst halbwegs vollständig abzubilden. Aber in Serien darf man auch gerne straffen. Zumindest im Buch aber muss man sich auf unschöne, schmerzhafte Szenen einlassen, wenn man sein Herz an den falschen Charakter hängt – oder an irgendeinen Charakter. Auch Brutalität gehört zum annähernden Ausrotten der Menschheit dazu. Man könnte noch so viel mehr schreiben, aber ich mache es jetzt kurz: Das Buch lohnt sich. Und um auch hier einen roten Faden beizubehalten und in die Zukunft zu schauen: Die kommenden Teile der Trilogie werden nicht mehr so uneingeschränkt empfohlen. 4,5 von 5 Sternen.

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