Titel: Die Spiegelstadt
Autor: Justin Cronin
Verlag: Goldmann
Seitenzahl: 990
Erstveröffentlichung: 24. Mai 2016
Genre: Dystopie, Horror
Klappentext
Unsere Welt liegt in Ruinen – doch was wird daraus auferstehen?
Die Zwölf – Wesen der Dunkelheit, Todfeinde der Menschen – sind vernichtet. Nach und nach wagen sich die Überlebenden aus ihrer eng ummauerten Zuflucht. Auf den Trümmern der Zivilisation wollen sie eine neue, eine bessere Gesellschaft aufbauen: der älteste Traum der Menschheit. Doch in einer fernen, verlassenen Stadt lauert der eine: Zero. Der Erste. Der Vater der Zwölf, der den Ursprung des Virus in sich trägt. Einst ein hochbegabter Wissenschaftler, der, seit er seine große Liebe verlor, nur noch von Rachedurst und Wut erfüllt ist. Er will die Menschheit endgültig auslöschen. Und seine Truppen stehen bereit. Nur Amy vermag ihn jetzt noch aufzuhalten, das Mädchen aus dem Nirgendwo. Und so treten sie und ihre Freunde an zum letzten großen Kampf zwischen Licht und Dunkelheit.
Langrezi
Rückblick
(Es folgen Spoiler, in der ganzen Rezi. Wenn ihr die nicht wollt, schaut doch nochmal auf die Texte zu den vorherigen Büchern!)
Die Spiegelstadt ist der dritte Teil der Passage-Reihe, folgt also auf Der Übergang und Die Zwölf. Kurz zum Hintergrund, als kleine Auffrischung: Ein Virus hat einen Teil der Menschheit in vampirähnliche Monster verwandelt. Zwar töten sie ihre Opfer in erster Linie, einige verwandeln sie allerdings auch in ihresgleichen, genannt Virals. Eine Art Telepathie verbindet sie mit demjenigen der Zwölf, dessen Gefolgschaft sie verwandelt hat. Diese Anführer sind ehemalige Gefängnisinsassen, die zum Tode verurteilt waren und sich für Experimente mit dem Virus zur Verfügung gestellt haben. Jeder von ihnen befehligt eine Armee an Virals.
Die Geschichte springt zwar immer wieder durch die Zeiten, behandelt aber in erster Linie die Geschehnisse ab einem Zeitpunkt von 100 Jahren nach dem Ausbruch der Krankheit. Ein Großteil der Menschen ist tot, viele wurden verwandelt. Doch es gibt ein Mädchen, Amy, mit dem einst ebenfalls experimentiert wurde. Sie hat sich nicht wirklich verwandelt, ist aber auch kein Mensch mehr – und somit der Schlüssel, um die Plage endlich zu stoppen.
In einem großen Kampf wurden nun die meisten der Zwölf getötet, dafür musste sich Amy allerdings ebenfalls vollständig in einen Viral verwandeln.
Inhalt
Die Menschheit wähnt sich über den Berg. Viele Jahre vergehen, ohne, dass lebende Virals gesichtet wurden oder es bekannte Angriffe auf Menschen gab. Die Bevölkerung wächst, die Einschränkung durch Mauern wird zunehmend zum Problem. Also beschließt man in der Republik Texas, auch die Welt außerhalb der schützenden Umzäunungen wieder zu besiedeln. Viele weitere Jahre geht der Plan gut, doch abgesehen von Carter, einem der Zwölf, und Amy, die sich praktisch durchgehend in ihrer Traumwelt befinden, gibt es noch einen bösen Anführer der Virals: Zero, der Erste, der verändert wurde (siehe Klappentext). Und er will nach vielen Jahren der Ruhe die Menschheit endgültig auslöschen. Zero lebt in New York, zerfressen von alten Erinnerungen, Liebeskummer und Trauer. Die aus den beiden vorherigen Büchern bekannte Gruppe um Peter und Amy, die inzwischen weit verteilt ist (und in Amys Fall aufgrund der Verwandlung eher unpässlich ist), muss sich noch einmal zusammentun, um auch Zero zu stoppen. Dafür gibt es auch die Möglichkeit, Amy zurückzuholen.
Die Geschichte
Ich habe es bei der Rezension zu Der Übergang gesagt: Die ganze Geschichte ist ein Epos, man muss damit umgehen können. Damit meine ich – man sieht es schon an der Länge des Klappentextes und der Seitenzahl – es gibt nochmal einen echten Schinken zum Abschluss. Zu sagen, die Erzählung wäre aufs Nötigste gestrafft, wäre schlichtweg gelogen. Auch tritt hier die Fülle an Rückblenden wieder zu Tage und wird nochmal auf ein höheres Level gehoben. Die Figuren sind alt, blicken gerne zurück, Amy, Carter und Zero leben praktisch nur in der Vergangenheit. Man muss es mögen oder darf zumindest kein Problem damit haben.
Außerdem darf man insbesondere die Menschheit als solches trotz der einige Zeit rosigen Aussichten nicht zu sehr ins Herz schließen, Autor Justin Cronin ist da unerbittlich – auch mit den wichtigeren Figuren (Alicia ist da schon in Die Zwölf ein gutes Beispiel). Ich rede dabei auch nicht nur vom Tod, er geht häufig recht kaltherzig mit den Charakteren um. Aber das ist nunmal die Welt, in der sie leben.
Die Geschichte schafft es aber tatsächlich, die noch offenen Fragen, gerade durch die seit dem ersten Buch erfolgten Blicke in die Zukunft, zu klären, und das insgesamt sogar ganz befriedigend. Auch werden hier und da einige Fragen rund um die Verwaltung einer dystopischen Welt beantwortet, was ich persönlich auch immer ganz spannend finde. Und: Man erfährt endlich, was so außerhalb der USA los war. Da spoiler ich jetzt aber nicht.
Charaktere
Wie gesagt: Cronin geht zuweilen ziemlich kaltherzig mit seinen Figuren um. Das trifft auch praktisch alle, am wenigsten vielleicht noch Peter, den man wohl als Protagonisten bezeichnen kann. Er kämpft eigentlich „nur“ mit seinem Liebeskummer bezüglich Amy. Gleichzeitig ist die Liebesgeschichte, gerade, nachdem sich beide wiederfinden, eigentlich ganz süß. Kein Jahrhundertwerk, aber doch schön zu lesen. Dem gegenüber steht Zeros Liebesgeschichte aus längst vergangener Zeit. Das Ganze ist tragisch, durch Zeros Erzählung, die von tiefer Trauer durchzogen ist, bleibt der Ton auch dementsprechend. Da rein mischt sich ein bisschen Selbstmitleid, die Figur ist ansonsten sehr egozentrisch – aber wer will es ihm vorwerfen, nach mehr als 100 Jahren in Einsamkeit.
Ansonsten kommen die Figuren unterm Strich eigentlich alle ganz gut Weg, sie bekommen sogar versöhnliche Enden. Außer Alicia. Ich weiß nicht genau, woher dieser Hass auf sie bei Cronin kommt, aber nachdem sie im zweiten Teil schon relativ unnötig für die dortige Geschichte vergewaltigt wurde, erfährt man nun, dass sie dadurch schwanger wurde, das Kind aber tot auf die Welt kommt. Alicia beschließt, Rache zu nehmen, und sucht Zero auf. Dort erfährt sie, dass er es war, der sie teilweise in einen Viral verwandelt hat, somit ist es ihr nicht möglich ist, ihn zu töten – ihr wird also auch die Rache genommen. Nach einigen Jahren, die sie bei ihm verbringt, macht sie sich auf, um die Menschen in Texas vor dem neuen Angriff zu warnen. Sie wird dort nicht besonders nett behandelt.
Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, wird sie am Ende zwar zurückverwandelt, begeht aber Suizid; ganz alleine, ohne sich noch einmal von ihren Freunden zu verabschieden, stürzt sie sich von einem Haus. Ich kann verstehen, dass sie keine Lust mehr hat, aber ich finde es für diesen wirklich tollen Charakter verdammt unangemessen, ihr nicht einmal ein paar nette Worte zu gönnen.
Stil
Die Sprache auch in diesem Buch bleibt schön, die Bilder (positive wie negative) sind wunderbar beschrieben. Die Liebe zum Detail trägt aber natürlich auch ihren Teil dazu bei, dass die Geschichte fast 1000 Seiten lang ist (wobei ich dazu sagen muss, dass die Zahl inklusive einer kurzen Danksagung und einem Personenregister gezählt ist). Die Übergänge zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sind in Ordnung, man kann dem Ganzen schon folgen. Der flüssige Stil hilft, gut durch die Geschichte zu kommen. Selbst, wenn man nicht im Detail an Zeros Liebe zur Freundin eines Freundes in seinem früheren Leben interessiert ist.
Fazit
Die Spiegelstadt ist aus meiner Sicht in etwa auf einem Level mit Die Zwölf und damit leider etwas schwächer als Der Übergang. Dadurch, dass ich vor allem durch Teil zwei schon darauf vorbereitet wurde, wie Cronin mit seinen Figuren und vor allem mit Alicia umgeht, hat mich dies nicht mehr grundlegend geschockt, nach der Szene mit ihrem Baby hatte ich trotzdem wieder dezent den Kaffee auf. Ich freue mich, dass die sehr interessante Welt gut abgerundet wurde, und das Ende ist tatsächlich sehr schön, finde ich, auch wenn mir die Menschheit der fernen Zukunft doch etwas zu ideenlos daherkommt. Man kann sagen, in 1000 Jahren sind sie da, wo sie vor der Katastrophe waren. Insgesamt bin ich froh, es geschafft zu haben, die Geschichte ist in ihrer Gesamtheit für mich aber immer noch großartig. 4 von 5 Sternen.