Titel: Eva – Herrschaft
Autorin: Franziska Szmania
Verlag: Selfpublishing
Seitenzahl: 467
Genre: Dystopie
Klappentext
Vor 200 Jahren hat die Insel Selvia sich vom Festland abgeschottet. Eine gewaltige Mauer wurde gebaut, um die Bevölkerung vor den massiven Unruhen auf dem Festland zu schützen. Technisch und medizinisch hochentwickelt, ähnelt ihr gesellschaftliches System noch immer dem von vor 200 Jahren. Die Regierung unter Präsident Adam hält unangefochten an dem Herrschaftsrecht der Männer fest.
„Nur wenn die natürliche Geschlechterordnung beibehalten wird, kann Frieden und Wohlstand herrschen.“ (Präsident Adam in seiner Rede zum 200-jährigen Jubiläum der Mauer)
Eva, Tochter eines Kaufmannes, steht kurz vor einem bedeutenden Ereignis in ihrem 16-jährigen Leben: der Heiratsmarkt. Der Preis, den sie erzielt, bestimmt ihren Wert und ihre Zukunft. Eine Rebellion stellt diesen Wert in Frage und auf den Kopf. Was ist noch wahr in einer Welt, in der nichts so scheint, wie sie es jahrelang geglaubt hat.“
Langrezi
Wir befinden uns bei „Eva“ in einer Welt, die ein wenig an „Handmaid’s Tale“, „V wie Vendetta“ und „1984“ erinnert: Die Insel Selvia (die Hauptstadt heißt genauso) wird von den Männern beherrscht. Frauen sind für den Haushalt und den Nachwuchs da, an fast allen Stellen wird ihnen klargemacht, dass sie weniger wert sind als die Männer. Der Klappentext ist insofern da ganz interessant, als dass er Informationen gibt, die im Buch nicht vorkommen – oder anders dargestellt werden. So geht aus der Story nicht hervor, dass das System bereits 200 Jahre besteht. Es heißt lediglich, dass es eine Mauer gibt, die die Bewohner vom Festland abgrenzt. Und das Ganze ist wohl schon länger her. „Bei den berühmtesten Morgenappellen des vergangenen Jahrhunderts [zu Ehren der Regierung] – dort gab es tosenden Beifall. So steht es jedenfalls in den Geschichtsbüchern.“ (S. 16).
Auch die Abgeschiedenheit zum Festland stimmt so nicht. Sie gilt vielmehr nur für die Frauen, viele Männer betreiben dagegen regen Handel mit den dortigen Menschen. Es ist sogar ein extrem wichtiger Wirtschaftszweig. Ein entsprechendes Zitat zu den Handelsbeziehumgem kommt weiter unten, ich brauche es noch, um etwas anderes zu verdeutlichen.
[Ab hier folgen immer wieder Spoiler. Wenn ihr noch nicht alles von der Geschichte wissen möchtet, hört hier besser auf zu lesen.]
So viel zum Rahmen. Die Protagonistin und Namensgeberin des Buches hat sich weitgehend damit abgefunden, hadert an einigen Stellen aber immer wieder damit beziehungsweise hat Probleme, sich vollends an die Regeln zu halten. Bis Eva in ein Umerziehungslager gesperrt und dort nach zehn Tagen von den Rebellen herausgeholt wird. In diesem Lager wird sie, genau wie die anderen Insassinnen, physisch wie psychisch gefoltert.
Die Zahl zehn begegnet uns noch an einer anderen Stelle – die Geschichte verliert da jedoch die Konsequenz. So setzt die Geschichte zehn Tage vor der Inhaftierung Evas ein, ein Countdown zählt das rückwärts. Sie befindet sich dann zehn Tage im Lager, um danach bei den Rebellen zu sein – acht Tage lang. Beziehungsweise wird sie wohl noch länger da sein, aber da endet die Geschichte. Mein innerer Kontrollfreak fand das nicht witzig!
Zum Inhalt
Ich bin jetzt leider schon in die Analyse eingestiegen und mache hier ganz schamlos weiter. Denn manche Dinge werden auch einfach nicht ausreichend klar beziehungsweise für meinen Geschmack deutlich zu oberflächlich behandelt. So ist ihr Klavierlehrer ein Perverser, der will, dass sie ihren „Rock lüftet“, um nachzuschauen, ob ihre Periode durch ist – schließlich spielt sie immer noch scheiße Klavier. Diesen kausalen Zusammenhang schiebe ich einfach mal darauf, dass der Typ ein Arschloch ist. Er schafft es am Ende der Szene, dass Eva „ihren Rock lüftet“ (S. 37). In der nächsten Szene heißt es, dass sie „kaum laufen“ kann, sie deutet später an, dass der Penner sie anfasst (S. 39) – das klingt alles schon ziemlich ernst, finde ich. Trotzdem wird die ganze Sache, abgesehen von einigen Flashbacks an den ekeligen Typen (nicht die Situationen mit ihm), die aber nicht weiter tiefgreifend sind, völlig außer Acht gelassen. Und das in einer Geschichte, in der die Männer wuschig werden, wenn sie nur nackte Knöchel sehen („Ihr Kleid fliegt um sie herum. Für den Bruchteil einer Sekunde sind ihre Knöchel zu sehen und die Männer schreien auf […]“, S. 190-191). Ich finde, wenn man so etwas Ernstes wie Missbrauch in die Story hineinbringt, sollte es auch vernünftig behandelt werden.
Logikfehler
Überhaupt gab es sehr viel – nennen wir es einfach mal – Inkonsequenz in der Geschichte, an der ich mich gestoßen habe. Keine davon ist großartig entscheidend, aber es stört mich trotzdem, denn ich möchte, dass eine Geschichte stimmig ist.
Ein paar Beispiele an dieser Stelle: So hält Eva am Anfang ihren Morgenappell. Es ist alles klar strukturiert, selbst die Pausen sind genau getimed. Allerdings scheint es einen freien Teil zu geben, in dem sie ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudert: „Als Kaufmannstochter weiß ich aus sicherer Quelle, wie schlimm die Zustände (auf dem Festland) sind. Vergewaltigungen und Mord gehören dort zur Tagesordnung. Mädchen und Frauen leben in ständiger Angst. Sie müssen Arbeiten leisten, die ihre Gesundheit gefährden. Nicht selten sind Frauen arm und sterben einsam.“ (S. 15; das Zitat ist auch mein Beleg für die Nicht-Abschottung) Ist so eine Passage vorher einstudiert worden? Hat jedes Mädchen eine? Spult Eva diese Geschichte jedes Mal ab, wenn sie den Appell halten muss? Wir erfahren es nicht.
Ein weiteres Beispiel: Eva geht mit ihrer besten Freundin Rahel auf den Markt, ein paar Tage vor dem Heiratsmarkt: „Meine Freundin hält ihr Gesicht in die Sonne. Nur kurz. Keine von uns will vor dem Heiratsmarkt Farbe bekommen. Je weißer unsere Haut, umso höher der Preis.“ (S. 63) Das scheint nur bedingt zu gelten, denn am Tag des Heiratsmarktes heißt es: „Beim Schminken hilft Lea ein wenig nach. Ich bin so blass vor Aufregung, ich könnte einem Bettlaken Konkurrenz machen. Etwas Rouge, Mascara und rosa Lippenstift für die Lippen.“ (S. 185) Vielleicht gab es Bedenken, dass der Preis für Eva zu hoch würde bei der Blässe? Man weiß es nicht. Aber gut, dass betont wird, dass der Lippenstift für die Lippen ist.
An dieser Stelle kurz eingeschoben, weil es so gut zum Thema „das Offensichtliche erwähnen“ passt: „Hätte ich Schmerzen, wüsste ich es.“ (S. 169) Den Satz lasse ich kurz sacken. Die Logik ist in jedem Fall bestechend.
Aber wir sprechen ja noch über die Inkonsequenzen. Ein weiteres Beispiel gefällig? Nein? Ihr bekommt es trotzdem.
In dem Umerziehungslager werden den Frauen mit einem besonderen Gerät alle Haare entfernt. „Ich streiche mit den Fingern über meine Kopfhaut und mein Gesicht. Völlig haarlos. Meine Lider fühlen sich seltsam ohne Wimpern an.“ (S. 240). Das passiert mutmaßlich mit allen Frauen aus ihrer Gruppe. Neun Tage später sieht die Situation dann aber schon wieder anders aus: „Der Troll zerrt sie (eine Mitgefangene) an den Haaren heraus.“ (S. 292). Ich stelle mir abwechselnd erschreckenden Haarwuchs oder einen erschreckend tiefgehenden Griff in die Kopfhaut vor. Beides nicht schön.
Es sind alles keine entscheidenden Dinge, aber es sammelt sich einfach und stört mich beim Eintauchen in eine Geschichte.
Stil
Die Autorin verwendet relativ häufig einen sehr knappen, fast schon Stakkato-artigen Stil. „Angst und Kälte durchdringen meinen Körper. Die Anwesenheit von Unheil ist beinahe greifbar. Ich spüre, wie das Bett hin und her ruckelt. Jemand wiegt sich. Wie in der Zelle. Katrin? Ich verharre. Unfähig, einen Gedanken zu fassen.“ (S. 356) Das mag in einigen (wenigen) Szenen ganz gut funktionieren, hemmt insgesamt aber den Lesefluss. Es fehlt dieser Flow, in den man bei schön geschriebenen Geschichten hineinkommt.
Was mich im Laufe des Buches ebenfalls zunehmend gestört hat, sind die „Vermenschlichungen“ von Gefühlen oder Gegenständen. Zwei Beispiele: „Meine Füße folgen der Anweisung. Sie wissen, was passiert, wenn ich ihr nicht gehorche.“ (S. 304); „Meine Augen beobachten die sprechenden Lippen.“ (S. 306) Es ist natürlich als stilistisches Mittel vollkommen in Ordnung, aber die Autorin verwendet es wirklich häufig. Und dafür, dass es genau genommen nicht korrekt ist – Körperteile oder Gegenstände haben in der Regel schließlich kein Eigenleben –, ist es dann definitiv zu oft zu finden.
Darüber hinaus werden immer mal wieder Meeresmetaphern bemüht (sie sind halt auf einer Insel), in der Regel funktionieren sie ganz in Ordnung. Über ein paar eher freiere Vergleiche wie: „Es ist mir unangenehm, zwischen all diesen taffen, starken Menschen die schreckhafte Seeschnecke zu sein“ (S. 414), kann man da hinwegsehen. Ich weiß aber auch nicht sonderlich viel über Seeschnecken, vielleicht gelten sie auch als besonders schreckhaft.
Ein paar sprachlich unsaubere Bilder sind auch dabei. Sehr schön auf Seite 308: „Wie sie (die Decke) sich an meine Arme schmiegt, füllt sie all meine Sinne aus. Ich höre meinen Namen.“ Also abgesehen davon, dass eine Decke schon ziemlich heftig sein muss, um alle vorhandenen Sinne auszufüllen, impliziert das meiner Meinung nach, dass auch ihr Gehör betroffen ist. Warum wählt man so ein unpassendes Bild, wenn man es dann nicht einmal zwei Sätze lang durchhält?
Oder ein paar Seiten zuvor (verzeiht die fehlende Chronologie): „Meine Watte im Kopf dehnt sich aus, wird immer allumfassender.“ (S. 261) Allumfassend, allumfassender, am allumfassendsten? Wenn etwas alles umfasst, lässt es sich nicht steigern. Punkt. An dieser Stelle möchte ich aber auch etwas Positives erwähnen. Das Bild mit der Watte beziehungsweise Zuckerwatte im Kopf, die den Einfluss des Beruhigungsmittels verdeutlicht, funktioniert gut. Man kann sich direkt etwas darunter vorstellen. Es wird vielleicht ein bisschen häufig verwendet, ein weiteres Synonym hätte nicht geschadet, aber das tut dem Bild als solches keinen Abbruch.
Die Autorin beschreibt Selvia als überwiegend grau, eine Farbe, die natürlich sehr gut zu der insgesamt sehr eintönigen, wenig schönen Situation passt, die es für Eva gerade am Anfang noch ist. Aber so naheliegend die Wahl ist, finde ich sie auch etwas unkreativ. Spannender wäre eine eigentlich helle, fröhliche Farbe gewesen, die man auf diese Art pervertiert. Blau wie der Himmel, zum Beispiel. Oder das Wasser, um bei den Meeresbildern zu bleiben. Da hätte man ganz wunderbare Vergleiche ziehen können. Aber naja, vielleicht ist grau für die Geschichte wirklich die passendere Wahl.
Charaktere
Mir war lange keine Protagonistin mehr so unsympathisch wie Eva. Sie ist dumm, verfressen, zickig, egoistisch, oberflächlich, und ihr fehlt jede Empathie. Wie oft dieses Mädchen Dinge nicht versteht, ist schon erschreckend. Gleichzeitig ist sie im ersten Teil des Buches von fast allem genervt. Vom Schulunterricht, den meisten Menschen und so ziemlich allem anderen eben auch. Abgesehen von der Sache mit dem Klavierunterricht (siehe oben), gibt es dafür ungefähr so viel Grund wie bei jedem anderen Teenager auch – mit der Ausnahme, dass sie (eigentlich) ihr ganzes Leben dazu erzogen wurde, ihre Schnauze zu halten und zu tun, was man ihr sagt. Das klappt halt so semi.
Ich möchte ein paar Beispiele bringen für ihre richtig schlimmen Eigenschaften. Fangen wir mit der fehlenden Empathie, verbunden mit der Verfressenheit, an. In der folgenden Szene ist Eva mit ihrer (da noch) besten Freundin Rahel auf dem Markt, eine Panik bricht aus. Menschen werden niedergetrampelt, Verkaufsstände zerstört, die Schutzwehr drängt unschuldige Besucher zusammen (alles S. 65), Eva selbst rettet sich mit Rahel auf den Sockel einer Statue. Rahel ist total aufgelöst. Was macht Eva? „Ich lehne mich an den kalten Stein der Statue, hole meine Datteln heraus und beobachte, wie der Markt zu einem Schauplatz des Krieges wird.“ (S. 66) Alte Scheiße, so abgebrüht muss man erst mal sein.
Gleichzeitig geht es ü-ber-haupt nicht, wenn jemand sie nicht als Mittelpunkt von allem sieht. Bei den Rebellen dämmert Eva, dass sie vielleicht bislang gar nichts (wirklich gar nichts) zu der Bewegung beigetragen hat und ist deshalb auf jede(n) sauer, der/die seine/ihre Rolle gefunden hat. So trifft sie (ihre da schon nicht mehr aktuelle beste Freundin) Ariel wieder. Die erzählt ihr, dass sie tatsächlich einen wichtigen Beitrag für den Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen leistet. Und was geht der guten Eva da so durch den Kopf, nachdem Ariel erzählt, dass sie einen neuen Algorithmus für Flugroboter entwickelt hat? „Ich verstehe kein Wort, denn ich höre nur eins. Sie rettet die Welt. Ich könnte das auch. Ganz sicher. Wenn ich nur besser hingesehen hätte. Wenn man mich mit einbezogen hätte.“ (S.396) Sie hat stark daran zu knabbern, dass ihr Bruder (um sie zu schützen) ihr nicht erzählt hat, dass er bei den Rebellen ist und sie lieber hat wie eine normale Frau der Gesellschaft leben lassen. Ist nicht toll, klar. Aber ihre (eigentlich noch) beste Freundin kann da wenig zu. Naja, auch sie hätte Eva einweihen können, aber ehrlich: Das Mädchen ist ein bisschen dumm, das Risiko wäre ich auch nicht eingegangen.
Im weiteren Gespräch kämpft Eva mit Wut und Scham, weil sie die Zusammenhänge nicht selbst bemerkt hat. Ich, ich ich. Fürchterlich. Wie wenig sie sich für andere Menschen interessiert, wird auch bei ihren Eltern deutlich. Es dauert acht(!) Tage bei den Rebellen, bevor sie sich überhaupt mal fragt, was aus ihnen wohl geworden ist. Die beiden sind alles andere als gute Eltern, aber das ist krass.
Das wunderbare Bild von Eva wird durch absolute Oberflächlichkeit abgerundet. Sie bewertet Menschen stark nach dem Aussehen. Das wird bei ihrem neuen Fahrer deutlich, der einen langen Bart trägt: „Ich habe gedacht, er würde stinken, so wie er aussieht. Wild. Ungepflegt. Tut er aber nicht.“ (S. 126). Bei den „Bösen“ eskaliert es vollends, so bei einer Aufseherin in der Schule. Nach einem ganzen Absatz darüber, wie fett sie ist, folgt: „Unzählige Taschen machen ihre Figur unförmig. Ein breiter Gürtel, der unter ihrem Bauch hängt, macht den Eindruck, als versuche er, das Gebilde verzweifelt zusammenzuhalten. Ich frage mich, wie sie ihn bei Bedarf öffnet. Der Blick auf ihn ist ihr jedenfalls durch die Fettmassen versperrt. – Eva, du bist gemein!“ Dieser Hauch von Selbsterkenntnis am Ende macht nichts, aber auch gar nichts wieder gut. Zur Verdeutlichung: Die Aufseherin hat ihren Job gemacht, indem sie Eva zum Wasserspender begleitet und ihr gesagt hat, dass sie schneller trinken soll. So eine Reaktion ist da vielleicht ein bisschen drüber.
Aber es geht auch übertrieben positiv: Ihre (da noch) beste Freundin Rahel findet sie offensichtlich ganz heiß: „Rahels Antlitz erscheint vor meinem inneren Auge. Sie ist eine wahre Schönheit. Die Traumfrau schlechthin. Schwarze Locken, ein reines, zartes Gesicht ohne Pickel mit Stupsnase und dazu eine weibliche Figur. Selbst Lillit ist schöner als ich.“ (S. 43)
Damit sind wir auch schon bei den anderen Figuren der Geschichte. Die sind allerdings schnell erzählt, weil sie meistens relativ wenige Eigenschaften haben. Evas Bruder Aaron runzelt gerne die Stirn und verbringt den letzten Teil des Buches eigentlich nur damit, zu versuchen, sich bei Eva für das Verschweigen der Rebellionszugehörigkeit zu entschuldigen und mit Chamuel rumzualbern. Oder mit Martha rumzumachen. Bis Eva merkt, dass da eine Beziehung existieren könnte, dauert es trotzdem schockierend lange. Sie ist halt dumm.
Gleichzeitig hat Eva selbst ihr Liebchen, Chamuel. Seine grünen Augen helfen ihr durch die Folterzeit. Und für alle, die den Kniff mit der grünen Farbe noch nicht direkt verstanden haben, wird es später nochmal erklärt, dass sie ja grün wie die Hoffnung sind. Man darf den Lesern auch mal was zutrauen. Ansonsten…lässt sich nicht viel über ihn sagen. Er scheint harte Muskeln zu haben und ist im Rebellenstützpunkt irritierend oft in Evas Nähe.
Evas Freundinnen Rahel (zeitweise beste Freundin), Lillit (zeitweise beste Freundin), Ariel (zeitweise beste Freundin) und Klara (mutmaßlich zeitweise beste Freundin) sind da, sie nerven nicht besonders. Rahel ist die typische perfekte Inselfrau, Lillit die Unruhestifterin in der Schule, Ariel ist Chamuels Schwester, und Klara war eine Mitgefangene von Eva. Bis auf Rahel sind alle sympathischer als die Protagonistin. Und Lillit darf sogar den tiefsinnigsten Part im gesamten Buch haben: das Aneinandereihen von Phrasen:
„Das wird schon wieder! Morgen sieht die Welt nur noch hellgrau aus.‘ Sie schiebt mich von sich und grinst mich an. ‚Leb nicht in der Vergangenheit. Das hilft keinem von uns. Was passiert ist, ist passiert. Vorwärts gehen ist meine Devise. […]“
(S. 430)
Jeder Sprüchekalender wäre stolz auf sie.
Jetzt habe ich fast Martha vergessen. Ihr werdet wohl erahnen, dass das nicht daran liegt, dass sie so unfassbar spannend ist. Sie gibt sich als Aufseherin in dem Lager aus, hilft Eva bei der Flucht und verbringt ihrerseits den Rest des Buches damit, zu versuchen, sich mit Eva anzufreunden. Warum auch immer. Das klappt auch nur einigermaßen und liegt an ihrer anderen Beschäftigung dort: Sie macht mit Aaron rum.
Klischee
Ein Klischee wie aus dem Bilderbuch darf bei „Eva“ auch nicht fehlen. Die Protagonistin trifft einen Computer-Experten der Rebellen. Seine Tastatur ist vollgekrümelt, er ist in Seine Arbeit vertieft, ist sozial unterentwickelt, trägt eine Brille (zu Beginn der Szene auf der Nasenspitze), riecht etwas, trägt komische Kleidung, hat verfilzte, lange Haare und ist super gescheit. Es wirkt, als habe die Autorin „The Big Bang Theory“ gesehen und sich gedacht „Hold my beer!“ Warum man wirklich so tief in die Vorurteilskiste greifen muss, weiß ich allerdings nicht.
Fehler
Normalerweise führe ich den Punkt nicht extra auf. Autoren machen Fehler, Korrekturleser machen Fehler. Das ist normal. Aber was ich in diesem Buch vorgefunden habe, sprengt echt jeden Rahmen. Ich habe ab Seite 79 eine Liste geführt, habe fehlende Kommata nicht mit aufgenommen, sondern nur falsch gesetzte. Und ich bin bei rund 280 Fehlern gelandet. Bei 467 Seiten. Abzüglich den ersten 79 Seiten. Beim einmaligen Lesen des Buches.
Es ist wirklich alles fast alles dabei. Von „das“ mit einem s, wo es zwei sein müssten oder umgekehrt (S. 79 zweimal, S. 88, S. 134, S. 150, S. 174…), Wörtern, die auseinandergeschrieben werden müssten – oder eben nicht („Etwas scheint ihm keine Ruhe zulassen.“, S. 114; „‚Deine Mutter wird dazu kommen‘“, S. 148; „Mit zusammen gebissenen Zähnen […]“, S. 339), fehlenden oder zu viel gesetzten Buchstaben („Es verdeutlich[…]“, S. 157; „Meine Armen umfassen meine Brust […]“, S.258; „Essenausgabe“, S. 437) bis hin zu Grammatikfehlern („Ich sah die jungen Mädchen gesehen […]“, S. 184; „Sie gehen einen durch Mark und Bein […]“, S. 293; „Um den Tag loswerden.“, S. 463) ist alles dabei. Einige Fehler kommen häufiger vor, beispielsweise „den Boden“ wo es „dem“ sein müsste, oder Großschreibung in einer wörtlichen Rede, die von einem mit Komma getrennten Einschub unterbrochen wird. „‚Du hast keinen Chip mehr“, erklärt sie weiter, „Wundere dich also nicht, die Entsperrung erfolgt jetzt anders.‘“ (S. 411) Ich schätze, so zehn Fehler sind Kann-Sachen, also wo es mehrere Schreibweisen gibt. Ich habe es nur mitgezählt, wenn die Duden-Empfehlung eine andere Variante empfohlen hat, als hier vorzufinden war. Dazu kommen einige Wörter, die im Laufe des Buches zwischen den Schreibweisen wechseln (infrage/in Frage zum Beispiel), die habe ich nicht mitgezählt.
Mein „Lieblingsfehler“ ist aber ein Hochzeichen (^) in einem Wort. „‚Nichts da, ich bringe d ^ich zurück ins Klassenzimmer.‘“ (S. 119) Auch schließen einige Seiten nicht bündig, obwohl kein Absatz folgt (S. 333, 334, 433), in einem Fall kommt ein Absatz mitten in einem Satz (S. 14). Wann ein Absatz eingerückt ist und wann nicht, scheint auch eher willkürlich zu sein.
Also wie gesagt, jedem rutschen mal Fehler durch, das ist völlig normal, aber wenn es nicht vorne und im Nachwort erwähnt wäre, ich hätte nicht geglaubt, dass das Buch ein Lektorat und ein Korrektorat hatte – und ich tue mich auch jetzt noch schwer mit dem Gedanken. Vielleicht ist die falsche Datei in den Druck gegangen, eine andere Entschuldigung kann es eigentlich nicht geben.
Vorwort
Noch ein kurzer Kommentar zum Vorwort, denn es hat mich wirklich aufgeregt. Es ist ein von der Autorin verfasstes Gedicht. In der dritten und letzten Strophe heißt es: „Was wäre wenn/die Frauen nie für ihre Rechte gekämpft hätten?/Was wäre, wenn/der Mann das Herrschaftsrecht behalten hätte?/Was wäre, wenn/die ungerechte Vorstellung von Geschlechterrollen einen/Ort gefunden hätte/an dem sie bis heute überdauert?“ Diese Strophe impliziert für mich, dass es heute keinen realen Ort mehr gibt, an dem Frauen ungerecht behandelt werden und ausschließlich Männer herrschen. In Zeiten, in denen Frauen in Afrika noch immer beschnitten/verstümmelt werden, es laut einer Studie von 2018 in Indien täglich mehr als 100 Vergewaltigungen angezeigt wurden und auch in Deutschland das Gehalt immer noch viel zu oft von den Geschlechtsorganen abhängt (neben diversen anderen Diskriminierungen), ist so eine Darstellung einfach wahnsinnig ignorant. Natürlich, es ist an den meisten Orten nicht so allumfassend (ein nicht zu steigerndes Wort!) wie in der Geschichte, aber trotzdem sollte man die immer noch aktuelle Situation auf der Welt doch nicht verharmlosen. Im Gegenteil.
Fazit
Wäre das Buch ein Manuskript, ich würde sagen, dass es Potenzial hat. Die Idee ist in Ordnung, und auch wenn sich an dem Stil nichts ändern lassen wird (ist eben Geschmackssache), könnten die formalen und inhaltlichen Fehler beseitigt werden – was der Geschichte wirklich gut tun würde. Aber leider ist es kein Manuskript mehr, sondern das fertige Werk. Und so kann ich dem auch nicht mehr als 1,5 von fünf Sternen geben.