Stella 2036

Titel: Stella 2036
Autorin: Zoey Aldrich
Verlag: Selbstverlag
Seitenzahl: 397
Erstveröffentlichung: November 2021

Genre: Postapokalypse, Horror, Thriller

Klappentext

Mein Name ist Stella. Ich kenne die Welt nur so, wie sie jetzt ist: voller Hunger, Kälte und Angst. In verwilderten Städten suche ich nach Nahrung und Unterschlupf. Doch in jedem verwaisten Haus, in jedem überwucherten Garten lauern sie, die lebenden Toten. Ihr rasselnder Atem verfolgt mich bis in meine Träume.

Es gibt ein Gerücht. Über einen sicheren Ort, an dem die Menschen leben können, statt nur zu existieren. Diesen Ort zu finden ist mein größter Wunsch. Doch schon bald muss ich wieder einmal feststellen, dass es weitaus Gefährlicheres gibt als nur die Untoten: die anderen Überlebenden.

Auf ihrer Reise durch Europa begegnen Stella all die Abgründe des menschlichen Wesens. Doch zwischen Gier, Wahn und Brutalität findet sie auch Freundschaft, Hoffnung und die Erkenntnis, dass es Wichtigeres gibt, als nur zu überleben. Und dass nicht alle Männer mit Waffen grausam sind.

Langrezi

Das Buch begleitet die 20-jährige Stella in einem postapokalyptischen Europa bei ihrer Suche nach einer sicheren Bleibe. Dabei gefiel mir die Grundidee der Geschichte sehr gut: Im Setting einer durch Zombies weitgehend zerstörten Welt legt die Autorin den Fokus auf die besonderen Gefahren, die Schwächeren, vor allem vielen Frauen, drohen, wenn es keine Gesetze mehr gibt. Allerdings gefiel mir die Umsetzung dieser Idee nicht; meiner Meinung nach werden die entscheidenden Themen zu wenig besprochen, viele Charaktere handeln für mich nicht nachvollziehbar und die Geschichte selbst weist eine ärgerlich große Menge an Logiklücken auf.

Die Schwächen des Buches

Ich will meine Kritikpunkte gerne näher erklären, dafür folgen ab hier allerdings Spoiler. Wer die nicht lesen möchte, sollte jetzt aufhören.

Mein Hauptproblem mit der Geschichte ist der Umgang mit dem Thema, das die Geschichte besonders macht: (sexueller) Missbrauch, vor allem von Frauen. Das passiert hier oft, Stella gerät in die Fänge verschiedener Männer, die zum Teil unterschiedliche Absichten verfolgen, aber sie doch alle vergewaltigen. Die Darstellung ist ungeschönt, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Aufgrund der Tatsache, dass die Geschichte aus Stellas Sicht erzählt wird, driftet der Leser irgendwann mit ihr ab. Aber danach folgt keine Aufarbeitung, keine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Geschehenen, stattdessen tritt relativ schnell eine Art Verdrängung und damit Normalität ein.

Wenige Tage (spätestens) nach den Ereignissen verhält sich Stella wie immer. In ihren Gedanken wird das Verwerfliche an den Geschehnissen meistens kurz abgehandelt, sie erwähnt gegenüber anderen nur sehr selten, was ihr angetan wurde, und die Gespräche bleiben gänzlich an der Oberfläche. Meistens enden sie mit einer Binsenweisheit wie „Die Welt wird von Männern mit Waffen regiert.“ Und, was mich wütend gemacht hat: Der Umgang ihres Umfeldes mit dem Thema ist … ausbaufähig.

Beispiele

Stella landet in einer Festung, in der gebärfähige Frauen genau dafür genutzt werden sollen, ob sie wollen oder nicht. Stella will nicht, nach dem, was von den Szenen beschrieben wird, drückt sie in keiner Situation Zustimmung aus, geschweige denn Freude. Später reist sie mit einem der Männer (Chase) herum, der sie missbraucht hat. Er sucht immer wieder den Körperkontakt zu ihr, sie weist ihn erst ab, als es zu übergriffig wird. Er ist enttäuscht, dass es ihr offensichtlich ja gar nicht gefallen hat, und sie sorgt sich im Folgenden immer wieder darum, ob er aufgrund ihrer Abweisungen wütend sein könnte (Pos. 1397 – 1403). Als er später genau deswegen kritisiert wird, verteidigt Stella ihn sogar. Sie rechtfertigt dabei übrigens eine Tat, die sie selbst als doppelt so schlimm bewertet wie sonstige Vergewaltigungen, weil es dem Zweck der Fortpflanzung dienen soll (Pos. 997).

Dann liegt sie mit ihrem Love Interest (Roman) im Bett, und er will ihr zeigen, dass Sexualität auch schön sein kann. Sie will nicht, er forciert das Ganze und dann kommt es, wie es selbstverständlich in so einer Situation kommen muss: Nach anfänglichem Unwohlsein genießt sie es und will es in den darauffolgenden Nächten wieder und gleichzeitig mehr (ab Pos. 4629). Ja, er ist dabei vorsichtig, aber trotzdem … Traumata-Heilung im Schnellverfahren.

Die ganzen entsprechenden Erlebnisse werden, meiner Meinung nach, wie eine Petitesse behandelt. Da wäre nicht nur deutlich mehr drin gewesen, es verklärt auch Dinge. Und das ist wirklich fatal.

Charaktere

Kommen wir zu den Charakteren: Die Protagonistin ist, wie bereits erwähnt, Stella – oder, wie ich sie nenne: die Frau ohne jegliche Survivalskills. Würde man mich morgen in einer postapokalyptische Welt aussetzen, hätte ich sicherlich gravierende Probleme, mein Überleben zu sichern, aber ein paar Basics sind mir doch bekannt: Wenn Kleidung feucht ist, sollte man sie trocknen. Das wird nach 49 Prozent des E-Books tatsächlich auch mal angewendet (ein einziges Mal), ansonsten sind nasse Klamotten höchstens ärgerlich. Dann würde ich es tunlichst vermeiden, aus Pfützen, Regentonnen oder anderen stehenden Gewässern zu trinken. Stella nicht. Man kann nun sagen, dass ihr der Erfolg, zehn Jahre alleine in der Wildnis (bzw. am Anfang noch mit ihrem kleinen Bruder an ihrer Seite) überlebt zu haben, recht gibt. Ich halte es aber einfach nicht für realistisch.

Dann ekelt sich Stella so sehr vor Insekten, dass sie diese nur in höchster Not isst. Dabei behauptet sie, jagen zu können: „Roman entpuppt sich als talentierter Jäger und auch ich kann mit meinen Fähigkeiten glänzen. Wobei meine bevorzugte Beute Ratten und Kaninchen sind, Roman erlegt Rehe.“ (Pos. 3218) An dieser Stelle einige Anmerkungen: Show, don’t tell ist ein Mittel, das viel zu sehr vernachlässigt wird. Überhaupt wird nie gezeigt, dass sie jagt (oder sonst jemand, von einer Stelle, kurz vor dem Ende, einmal abgesehen). Stattdessen essen alle lieber und andauernd Dosennahrung – die nach 20 Jahren Apokalypse eigentlich auch irgendwann knapp werden müsste, aber dazu später mehr.

Weil Stella nun aber ihre Fähigkeiten nicht einsetzt, hat sie eine andere Strategie, um zur Not an Essen zu kommen: Sie sucht sich Männer, die ihr helfen, im Gegenzug gibt es Sex. („Sie [ihre Ziehmutter] wollte meine Haare kürzen, damit ich mehr wie ein Junge aussehe, doch ich weigerte mich. Nach meiner ersten Vergewaltigung begann ich damit, mir die Haare unter die Mütze zu stecken. Doch der Hunger ist manchmal schlimmer als alles andere. Manchmal war es nützlich, diese langen, straßenköterblonden Haare zu haben.“ Pos. 172 – 178) Dass die Haare sie öfters in Probleme bringen, weil sie so einfacher als Frau zu erkennen ist, wird dabei gerne hingenommen. Hauptsache, man muss keine Insekten essen…

An ihrer allgemeinen Hilflosigkeit ändert Stella übrigens nie etwas. Sie reist mit Leuten herum, die alle kämpfen und schießen können, aber ihre Ausbildung hört da auf, wo sie erfährt, wie man eine Waffe sichert. Verteidigung wird auch überbewertet.

Roman kann man in einem Satz zusammenfassen: Er kann alles, außer Gefühle zeigen. Ich habe bei ihm immer an einen Actionhelden aus den 80er Jahren denken müssen, der Scheiben mit den bloßen Händen einschlägt und Familien aus brennenden Häusern rettet. Das tut er hier zwar nicht, aber er rettet Stella immer wieder, meistens mit Gewalt und Waffen. Außerdem ist er praktisch ständig aufmerksam, kann Motorrad fahren, durchschaut die vermeintlichen Helfer, kennt sich ziemlich gut in Geografie aus und kann Traumata heilen (siehe oben). Da er bis zum 16. Lebensjahr noch in der Welt vor der Apokalypse gelebt hat, kann man sicher einige Fertigkeiten darauf zurückführen, aber ob ich mich so zielsicher durch Deutschland bewegen könnte wie er durch Frankreich, ohne Kompass oder ähnlichem, und nebenbei noch alle Bösen im Nah- und Fernkampf niederringen kann, weiß ich nicht. Gut, das mag an mir liegen.

Einzige Wermutstropfen bei Roman, neben der Sache mit den Gefühlen: ziemliche Stimmungsschwankungen, die auch schon wieder in ein deutliches Machtgefälle gegenüber Stella übergehen. Ein Beispiel: Er zwingt sie aus einer Nostalgiewoge heraus, eine ganze Tafel 20 Jahre alter Schokolade zu essen, weil er meint, dass man das mal gemacht haben muss (Pos. 3433). Und die Tatsache, dass er drei fast unbewaffnete Kinder erschießt ist aus meiner Sicht auch problematisch. Stella und er plündern eine Schwimmhalle, ein Kind stürmt mit einem Messer aus der Damentoilette, trifft Roman dabei mit der Tür, er fällt ins Brackwasser eines Beckens. Das Kind sieht Stellas Waffe und flüchtet zurück in die Toilette. Aber nicht mit Roman! Er macht die Tür auf, schießt das Mädchen über den Haufen; immerhin warnt den Teenager, der daraufhin das Messer an sich nimmt und Roman angreift, noch, bevor er ihn auch abknallt. Und die Dritte in der Gruppe, ein heulendes Mädchen … naja, warum das jetzt sterben musste, bleibt offen, aber Roman hat da sicherlich einen guten Grund für gehabt (ab Pos. 3285).

Die anderen wichtigen Figuren sind Clint, Chase, Alex, Taclid und Beckler, eine kleine quasi-militärische Gruppe, die durch die Gegend zieht und ebenfalls ein ruhiges Heim sucht. Clint ist das Klischee eines Klischees eines militärischen Anführers: schweigsam, rau, weitgehend humorlos, immer pflichtbewusst und top in dem, was er tut. Zu Chase habe ich mich oben ja schon geäußert, der „Sunnyboy“, wie Stella ihn gerne nennt (Pos. 2244 und 4721), ist ansonsten halt da, kämpft immer mal mit seinem Ego und mit Roman darum, wer die coolere Person ist. Der Rest der Truppe ist wie Leute, die man das erste Mal auf einer Party kennenlernt. Wirken ganz nett, so viel mehr muss man von ihnen jetzt aber auch nicht erfahren.

Logiklücken

Ich habe ja oben schon die Logiklücken angesprochen und anhand von Stellas nicht vorhandenen Survivalskills auch bereits angedeutet, was mich so stört. Fortführen möchte ich das an einem konkreten Beispiel, einer Festung in einer Sportarena. Da es mitten in Frankreich ist, nehme ich an, dass es sich um eine Fußballarena handelt. In dieser Arena leben diverse Menschen, die auf der ehemaligen Spielfläche Landwirtschaft betreiben und sich zudem etwa 20 Kühe und ein paar Bullen halten, die dort grasen. Meine Gedanken dazu: Ich glaube nicht, dass ein normal großes Fußballfeld ausreicht, um genügend Nahrung für eine Gruppe von Menschen herzustellen UND 20 Kühe und ein paar Bullen zu bewirten. Außerdem bin ich nicht sicher, wie viel Erde sich überhaupt in einem Fußballstadion befindet, sodass dort Landwirtschaft möglich sein soll – erst recht nicht über viele Jahre. Die Tribünen- und Dachkonstruktionen dürften es zudem schwierig machen, im Innenraum ausreichend Licht für die Pflanzen zu haben.

Dann gibt es noch ganz viele Kleinigkeiten, die mich immer wieder gestört haben. Zum Beispiel raucht Clint wie ein Schlot, na klar, man muss das Klischee ja abrunden. Allerdings stelle ich es mir herausfordernd vor, 20 Jahre nach dem Beginn der Apokalypse noch an ausreichend und erst recht an ausreichend nutzbare Zigaretten zu kommen. In den Lagern, die wir im Buch kennenlernen, wird – verständlicherweise – kein Platz für den Anbau von Tabak aufgewendet. Übrigens: Ein Logikfehler wird nicht dadurch besser, dass man ihn offen anspricht: Stella wundert sich zwar, woher Clint immer wieder seine Zigaretten bekommt, aber abgesehen von einzelnen Päckchen, die er immer mal findet, wird diese Frage nicht weiter erörtert.

In bester Actionfilm-Tradition wird außerdem niemals nachgeladen. Manchmal fällt das Thema darauf, dass Person xy noch mehr Munition mitnehmen sollte, aber dass sie mal in eine Waffe eingelegt werden muss, erst recht während einer Notsituation, passiert zum Glück nicht. Wäre auch echt ärgerlich, wenn Roman dadurch in seinen Kreisen gestört würde.

Stella hat sich viel von den „Alten“ (alle Menschen, die noch etwas von der Zeit vor der Apokalypse wissen, also alle Menschen ab circa 30 Jahren) über die frühere Welt erzählen lassen. Schön. Aber dass sie weiß, was ein Einsatzkommando ist, eine Situation mit der Linse einer Fotokamera vergleicht, die Nase einer Frau als aristokratisch bezeichnet oder sich Zombies in ihren Augen wie Billardkugeln bewegen, hat mich dann schon überrascht.

Die Lager

Zu guter Letzt möchte ich noch die Lager ansprechen, die die Gruppe so findet. Leider wirken die sehr generisch: Alle haben Gemüseanbau, halten sich Tiere und haben eine Patronenproduktion. Das mündet dann darin, dass Anbau und Tierhaltung in einem Flughafenterminal geschehen. Ich stelle mir die Situation merkwürdig vor, beides in geschlossenen Räumen und mit zumindest eingeschränkter Technik durchzuführen, es wird aber auch nicht weiter erklärt – während das erste Lager noch sehr detailliert beschrieben wurde, wird es zum Ende hin immer weniger.

Fazit

Insgesamt nutzt das Buch, meiner Meinung nach, seine Potenziale nicht und wirkt oft wie eine Mischung aus The Walking Dead, World War Z und einem bisschen Mad Max (eine Reihe, die sogar namentlich erwähnt wird). Die Alleinstellungsmerkmale bleiben blass, und im Falle der Vergewaltigungsszenen wirkt es auf mich zum Teil sogar so, dass sie eher des Schockierens wegen eingebaut wurden, als dass sie die Geschichte voranbringen sollen.

Achja, und Tiere, vor allem Hunde, werden auch wirklich nicht gut behandelt. Wer das nicht mag, sollte zumindest darauf vorbereitet sein. Einer von fünf Sternen.