Titel: Six Of Crows
Autor: Leigh Bardugo
Verlag: Henry Holt and Company, LLC
Seitenzahl: 465 Seiten
Erstveröffentlichung: 29. September 2015
Genre: Young Adult, Fantasy, Thriller
Klappentext
„Ketterdam – pulsierende Hafenstadt, Handelsmetropole, Tummelplatz zwielichtiger Gestalten: Hier hat sich Kaz Brekker zur gerissenen und skrupellosen rechten Hand eines Bandenchefs hochgearbeitet. Als er eines Tages ein Jobangebot erhält, das ihm unermesslichen Reichtum bescheren würde, weiß Kaz zwei Dinge: Erstens wird dieses Geld den Tod seines Bruders rächen. Zweitens kann er den Job unmöglich allein erledigen …
Mit fünf Gefährten, die höchst unterschiedliche Motive antreiben, macht Kaz sich auf in den Norden, um einen gefährlichen Magier aus dem bestgesicherten Gefängnis der Welt zu befreien. Die sechs Krähen sind professionell, clever, und Kaz fühlt sich jeder Herausforderung gewachsen – außer in Gegenwart der schönen Inej …“
Langrezi
[Information: Ich habe das Buch auf Englisch gelesen und werde im Folgenden auch die englischen Begriffe verwenden.]
Wenn eine Gruppe von sechs Leuten in einer Fantasy-angehauchten Welt loszieht, um in eine der bestgesicherten Festungen ihres Planeten einzubrechen, können meiner Meinung nach in der Tendenz genau zwei Dinge passieren: Es wird eine großartige, spannende, gut nachvollziehbare Story erschaffen, die immer wieder zu überraschen weiß und dabei jedem Charakter genug Platz zur Entfaltung gibt. Oder es wird Mist. „Six Of Crows“ bewegt sich vielleicht nicht zu 100 Prozent in der erstgenannten Kategorie, steht aber doch deutlich weiter auf dieser Seite als auf dem Mist-Ufer.
Zur Story ist im Prinzip alles Wichtige gesagt, ohne zu spoilern: Kaz stellt sich eine Truppe zusammen, um für einen zwielichtigen Geschäftsmann in den Ice Court, eine Festung im Norden, einzudringen, in der ein Mann gefangen gehalten wird, der Informationen über ein besonderes Mittel besitzen soll, das die Kräfteverhältnisse auf der Welt verändern könnte. Weil das nicht noch mehr Leute als ohnehin schon erfahren sollen, wird der Kriminelle Kaz um Hilfe gefragt anstatt einer offiziellen Spezialeinheit oder ähnlichem.
Insgesamt ist die Story schon durchdacht, das meiste wirkt durchaus plausibel. Dadurch, dass man einige Details der Festung allerdings nur beschrieben bekommt und auch nicht immer bei der tagelangen Planung der Truppe dabei ist, ist es manchmal ein bisschen schwierig, dem Vorgehen zu folgen, aber man kommt definitiv mit. Schön gestaltete Karten von der gesamten Welt, Ketterdam und dem Ice Court, die alle auf den ersten Seiten zu finden sind, helfen zudem gut.
Charaktere
Wie oben erwähnt, ist es für mich wichtig, dass die relevanten Figuren ein bisschen was von sich preisgeben können. Das ist hier definitiv der Fall. Jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte, keine ist mit der der anderen vergleichbar. Kaz will Rache für seinen toten Bruder, Jesper ist dem Glücksspiel verfallen, Grisha Nina (für alle, die die Grisha-Reihe nicht kennen: Sie hat übersinnliche Fähigkeiten) befindet sich irgendwo zwischen der Loyalität beziehungsweise dem Verrat ihrer eigenen Leute und Matthias aus dem Volk ihrer Feinde, den sie ebenfalls verraten hat, im Weiteren aber viel Zeit und Energie darauf verwendet hat, die daraus resultierenden Folgen wieder zu beseitigen. Klingt kompliziert? Haltet den Gedanken mal fest.
Matthias schwankt ebenso zwischen dem, was er von klein auf gelernt hat und seinen Gefühlen zu Nina. Dann gibt es noch Wylan, Sohn des zwielichtigen Auftraggebers mit daraus resultierenden Problemen, und Inej, die von Sklavenhändlern gefangen und in ein Bordell verkauft wurde. Und zwar ein echtes Bordell. Es ist keine jugendgerechte-, Pretty-Woman-eske Schönwetter-Variante, sondern wirklich ein Bordell. Das mag an mir liegen, ich finde es als Backstory für einen Hauptcharakter zumindest ungewöhnlich – definitiv im positiven Sinne.
Aber kommen wir zurück zu der komplizierten Story. Wenn sechs Figuren eine halbwegs ausgearbeitete Hintergrundstory haben sollen (und das haben sie hier definitiv), bremst das irgendwann unweigerlich die Hauptgeschichte aus. Das ist hier leider durchaus an einigen Stellen der Fall, hätte in Anbetracht der Menge an Figuren aber auch deutlich schlimmer sein können. Jetzt mag es etwas paradox wirken, sich darüber auch noch aufzuregen, aber Wylan kommt deutlich am schlechtesten weg, seine Geschichte ist zumindest in diesem Buch noch recht überschaubar. Wenn man es schon ausführlich macht, soll das gleiche Recht für alle gelten.
Aber die Figuren sind sympathisch. Einige mehr, andere weniger, aber man kann definitiv mit allen arbeiten, auch weil sie ihre besonderen Stärken und Schwächen haben. Ich habe bisher nichts zu der im Klappentext angedeuteten Liebesgeschichte gesagt, weil sie so zart ist, dass sie nicht groß auffällt. Da ist die von mir angedeutete Liebesgeschichte zwischen Nina und Matthias, vor allem in der Hintergrundstory, deutlich präsenter. Aber es wird an keiner Stelle übermäßig kitschig. Das kann man – je nach persönlichem Geschmack – positiv oder negativ sehen.
Was ein wenig stört, ich aber auch schon in anderen Büchern kritisiert habe, ist das Alter der Charaktere: Für mich ist es immer schwierig zu lesen, wie eine Gruppe von etwa 16- bis 18-Jährigen abgeklärt, abgebrüht und auf alles vorbereitet ganze Regierungen hinters Licht führt. Aber das ist eben dem allgemeinen Jugendbuch-Stil geschuldet.
Stil
Das Buch ist schön geschrieben und hat die für mich sehr seltene Fähigkeit, Humor in Dialogen gut rüberzubringen. Aus meiner Sicht funktioniert das geschrieben nur selten, vieles lebt eben von Mimik, Gestik und dem Überraschungsmoment, etwa bei Situationskomik. „Six Of Crows“ vermag es aber wirklich gut abzubilden – zumindest, wenn die Autorin es nicht zwanghaft versucht. Es gibt auch Szenen, die so gewollt lustig sind, dass ich dem nichts abgewinnen kann. Aber wenn die Charaktere im Fluss sind, ist es wirklich schön zu lesen.
Ein nettes Gimmick im Buch: Die Sprache in Kerch, dem Land, in dem das Sextett lebt, ist an das Niederländische angelehnt. Viele Namen, Straßen und Bezeichnungen haben ihren Kern darin. Es ist erfrischend, mal so etwas zu lesen.
Ein Problem habe ich allerdings mit Deus ex machina, also Lösungen, die ohne vorherige Einleitung oder Andeutung aus dem Hut gezaubert werden, weil sie gerade passen. Kaz gilt als großartiger Planer, lässt sich so leicht durch nichts aus der Ruhe bringen und findet immer einen Ausweg. Das klappt in der Regel auch durchaus nachvollziehbar, an einigen Stellen werden aber einfach Gesetzmäßigkeiten der Welt, der Länder oder schlicht der Bauwerke zur Hilfe gezogen, von denen vorher nie die Rede war. Das ist wirklich schade, an den meisten Stellen hätte man die für die spätere Lösung notwendigen Umstände wohl gut im Vorfeld einbinden können, denke ich.
Fazit
Ich kannte die Grisha-Welt vorher nicht, „Six Of Crows“ hat mich dafür aber definitiv angefixt. Die Welt ist wirklich schön ausgearbeitet und bietet wahnsinnig viel Potenzial. Aber nicht nur deswegen hat mir das Buch gut gefallen: Die Geschichte ist wirklich spannend und abwechslungsreich, was bei der Thematik sicher auch nicht selbstverständlich ist. Ich gebe dem Buch vier von fünf Sternen.